Markus Gadient, Katharina Kemmerling, Achim Sakic
Text
Markus Gadient
How to call into the forest...
Wie man in den Wald hineinruft...

by Eva Scharrer, freelance curator

Durch die repetitive Auseinandersetzung mit einem Grundthema, dem Baum, sucht Markus Gadient mit den Mitteln der Malerei in die wesentliche Natur der Dinge jenseits ihrer Darstellung vorzustossen. Der Baum ist im Laufe seines langen Lebens ständiger Veränderung ausgesetzt, er erneuert sich zyklisch immer wieder selbst und besitzt dabei ein weit zurückreichendes Gedächtnis – jede Veränderung ist in den Jahresringen gespeichert. Das Baummotiv verwurzelt Gadients Malerei gleichsam in der Bildfläche. In einem Interview mit Bice Curiger 2005 formulierte er es so: „...wenn ich keine Bäume male fliege ich weg. Der Baum ist sozusagen meine Verankerung im Bild. Ich tendiere eigentlich eher zum Luftigen, und so kann ich es fixieren.“

In der Tat scheint der abstrakt-malerische Gestus, der in letzter Instanz jedes Bild zu einem ’vorläufigen’ Abschluss bringt, von nur schwer zu kontrollierender, dissolvierender Kraft. Weiße, fast aggressiv gemalte Farbwolken löschen das Motiv teilweise aus – ähnlich den temporären Übermalungen von Graffiti, wie man sie im öffentlichen Raum findet –, impulsive Striche und farbige Schlieren schlagen in die virtuos gemalten knöchernen Äste uralter Bäume ein wie Kugelblitze, und verursachen dabei farbliche Explosionen. Doch mutet nichts davon zufällig an, sondern lässt stattdessen eine intensive Beschäftigung mit den Gesten der abstrakten sowie post-abstrakten Malerei erkennen.

Ist die Auflösung der Landschaft als Grundmotiv durch Übermalung schon seit längerem fester Bestandteil von Gadients malerischer Auseinandersetzung, kommt in den jüngeren Bildern des bereits 1990 begonnen „Wildenstein-Zyklus“ ein weiterer Aufbruch der Bildfläche hinzu, indem sich ein komplett neuer Bildausschnitt über das vorher dagewesene Bild zu legen scheint – jedoch im halben Format und teilweise um 180° gedreht, so dass der Effekt einer Verdoppelung oder Spiegelung eintritt. So erscheinen einige Bildräume durch horizontale Neuorganisation wie gesplittet, während andere sich eher von verschiedenen Perspektiven heraus rhizomatisch ausbreiten.

Auch in der wiederaufgenommenen Serie „Landschaften und Tore“ beschäftigt sich Gadient mit archaischen Motiven – zu den uralten Baumriesen stossen hier Relikte der menschlichen Kultur. War es bei „Wildenstein“ eine deutliche Übersteigerung der farblichen Palette, so ist es hier die Entziehung der Farbe, die eine abstrahierende Verfremdung erzeugt. Verzweigte Gangsysteme, biomorphe oder kristalline Strukturen führen in eine innere Struktur der mythologisch anmutenden Landschaften hinein. Die strikte Reduzierung der Palette auf Grautöne erweckt den Eindruck, als hätte man den schwarz-weiß-Filter der Smartphone Kamera-App eingeschaltet. Die schnelle Bildbearbeitung durch manipulative Filter ist heute gang und gäbe – wenngleich sie zu der Zeit, als Gadient die Serie im Jahre 2000 begann, noch nicht annähernd so beliebig verfügbar war. Gadients Bildbearbeitung ist eine über die Jahre gewachsene und noch nicht abgeschlossene Auseinandersetzung, weniger mit der Oberfläche seiner Motive, als vielmehr ein langsames Vordringen zu ihrem inneren Wesen.

Through the repetitive examination of a basic theme, the tree, Markus Gadient uses the means of painting to explore the essential nature of things beyond their representation. In the course of its long life, the tree is exposed to constant change, it cyclically renews itself again and again and possesses a memory that goes back a long way - every change is stored in the annual rings. The tree motif roots Gadient's painting, as it were, in the picture surface. In an interview with Bice Curiger in 2005, he put it this way: "...when I don't paint trees, I fly away. The tree is, so to speak, my anchorage in the picture. I actually tend towards the airy, and so I can fix it."

In fact, the abstract painterly gesture that ultimately brings each picture to a 'temporary' conclusion seems to have a dissolving power that is difficult to control. White, almost aggressively painted color clouds partially erase the motif - similar to the temporary overpaintings of graffiti found in public space - impulsive strokes and colored streaks strike the virtuously painted bony branches of ancient trees like lightning balls, causing colorful explosions. Yet none of this seems accidental, but instead reveals an intense preoccupation with the gestures of abstract and post-abstract painting.

While the dissolution of the landscape as a basic motif through overpainting has long been an integral part of Gadient's painterly exploration, in the more recent pictures of the "Wildenstein Cycle", begun in 1990, there is a further departure from the pictorial surface in that a completely new section of the picture seems to lay itself over the previously existing picture - but in half the format and partly rotated by 180°, so that the effect of doubling or reflection occurs. Thus some pictorial spaces seem to be split by horizontal reorganization, while others spread rhizomatically from different perspectives.

In the resumed series "Landscapes and Gates", Gadient also deals with archaic motifs - here, relics of human culture join the ancient tree giants. While in "Wildenstein" it was a clear exaggeration of the colour palette, here it is the deprivation of colour that produces an abstracting alienation. Branched corridor systems, biomorphic or crystalline structures lead into an inner structure of mythologically seeming landscapes. The strict reduction of the palette to grey tones gives the impression that the black-and-white filter of the smartphone camera app has been switched on. Fast image processing using manipulative filters is common practice today - even though it was not nearly as freely available at the time when Gadient began the series in 2000. Gadient's image editing is a not yet completed confrontation that has grown over the years, not so much with the surface of his motifs as with a slow penetration into their inner essence.

Berlin 2016

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Katharina Kemmerling
Artist Statement
Ausführungen zur künstlerischen Vorgehensweise

Kollagen aus Bestehendem und Konzipiertem, in Form und Raum, bilden die Grundlage meiner künstlerischen Arbeit. Aus dem Zusammenspiel von Digital und Analog bilden Figuren und Installation verzerrte surreale Welten, die der Betrachter untersuchen, entdecken und erforschen soll.

Das Vorgehen besteht aus verschiedenen Umübersetzungen von digitalen Formen zu Objekten und wieder zurück. Die Umformung führt zu einer gewollten Dissonanz, welche auf den Konflikt einer Gesellschaft zwischen gefühlter Realität und metrischer Wissenschaft verweist.

Collages of the existing and the conceptual, in form and space, create the basis of my artistic work. From the interplay of digital and analogue, figures and installations form distorted surreal worlds that the viewer is supposed to explore, discover and explore.

The procedure consists of various retranslations from digital forms to objects and back again. The transformation leads to a deliberate dissonance that points to the conflict of a society between felt reality and metric science.

December 2018

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Text for Universe in Process, Kunsthaus Baselland
Text zu Universe in Process, Kunsthaus Baselland

My work is a mixed-media installation consistent of ceramics and video. I try to create an approach to the form of communication of octopods, whose skin simultaneously functions as a mirror image of their environment and as a transmitter of messages to it. In my work I ultimately negotiate themes and questions of forms of non-human intelligence and perspectives beyond our human perception.

Meine Arbeit ist eine Mixed-Media Installation bestehend aus Keramik und Video. Ich versuche dadurch eine Annäherung an die Kommunikationsform von Oktopoden zu erschaffen, deren Haut gleichzeitig als Spiegelbild ihrer Umgebung, sowie als Übertragungssender von Botschaften an dieselbe fungiert. In meinem Werk verhandele ich letztlich Themen und Fragestellungen von Formen nichtmenschlicher Intelligenz und Perspektiven abseits unserer menschlichen Wahrnehmung.

August 2018

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Text
Achim Sakic
Gestelle schieben. Geschoben. Ausstellung

by Susanne Titz

Die Umgruppierung der Photo-Tafeln macht (...) Mühe.“
„Massenverschieb(un)g innerhalb der Photo-Tafeln.“
„Mit Freund Gestelle ‚geschoben’.“
„Schwierigkeit: die Placierung von Duccio.“
„Die Anordnung der Tafeln im Saale macht (doch) ungeahnte Schwierigkeiten innerer Art.“
„Habe angefangen, die ganze Götterwelt auszuschneiden.“
Aby Warburg(1)

Das Werk von Achim Sakic besteht aus Gestellen. Auch wenn es Bilder sind, ist das die wohl beste Umschreibung: Gestelle. Auf die Zeichnungen von Sakic und den Begriff der Gestelle wurde ich am gleichen Tag neugierig. Es dauerte ein wenig, dabei habe ich in Hamburg studiert und hätte es eigentlich wissen müssen. Sakic war anwesend, als Klaus Merkel in einer öffentlichen Diskussion über Gestelle sprach. Und als dieser sie mit Heidegger verband. Und dabei die Vermutung äußerte, dass dieser Begriff Heideggers später von Aby Warburg übernommen worden sei. Die Vermutung war ein Irrtum, wie sich ein paar Stunden später herausstellte. Denn Warburgs Gestelle waren allerhöchstwahrscheinlich früher als Heideggers. Und Warburg, Abi, war auf eine viel einfachere Weise auf diesen Begriff gekommen als Heidegger, Martin. Die Praxis war der Theorie voraus gegangen, nicht umgekehrt. Doch die badische Theorie Merkels, die da kurz überlegt hatte, die gesamte Geschichte zu verdrehen, drang da tiefer hinein. Und so kam es an diesem gleichen Tag, als man mir den Begriff Gestell aus dem Hamburger Studium wieder gab, als ich Merkels wunderbare Argumentationen erlebte und vom Namen Sakic, Achim, und dessen komplizierten Bildern erfuhr, zur Vision eines künstlerischen Gestells. Und seit diesem Tag weiß ich, was ich da vor eigenen Augen erleben kann und schon immer erleben wollte: dass Gestelle geschoben werden, und zwar so, dass die Arbeit des Schiebens sichtbar ist.

Aby Warburgs „Gestelle“ waren die Fototafeln, die er in seiner berühmten Kulturwissenschaftlichen Bibliothek in Hamburg neben- und übereinander aufstellte, um Werke der Kunstgeschichte miteinander zu vergleichen. Anhand dieser Tafeln stellte er Verknüpfungen her, entdeckte Beziehungen und Wanderungen von Bildmotiven quer durch Jahrhunderte und unterschiedlichste Kulturen hindurch. Das war die Geburt der Ikonografie, die nicht mehr die ästhetisch wertende, sondern eine kulturelle Anschauung von Bildern - auch Bildfiguren, Haltungen und Gesten – vor Augen führte. Diese Anschauung nahm Mnemosyne, die Göttin der Erinnerung, als ihr Idol und die anwachsenden Reproduktionen von Kunstobjekten und Bildern aller Herkunft als einen riesigen Fundus. Warburgs „Gestelle“, diese Tafeln des Mnemosyne-Atlas, die er alleine oder mit Kollegen ständig hin und her schob, „dienten“, so Martin Warnke, in all ihrer mobilen Tragbarkeit, die einerseits große Sehfreiheit und andererseits materielle Widerstände bot (vgl. Warburgs Meldungen in obigen Zitaten) „als Mittel der Erkenntnis und zugleich als Mittel der Präsentation. Sie dachten an Bildern und in Bildern und stellten dies auch aus“.(2)

Achim Sakic macht aus den Werken von Kolleginnen und Kollegen Bildtafeln. Er zeichnet sie nach, stellt sie in Stellagen, Regalen und in Vitrinen und schiebt sie dort herum. Das sieht nach einem gründlichen Verfahren aus, in dem die Erkenntnis unterwegs ist, doch diese sagt nicht, was sie denkt. Stattdessen sieht man das ausgestellte Geschiebe, von einer Zeichnung, einer Anordnung, einer gestellten Reihe zur nächsten. Hier reproduzierte Werke von Merkel, Klaus und Freundlich, Otto. Dann plötzlich Douglas Gordon mit dem einen Auge in einem Raster. Dann der Bildhauer und Maler Frank Maier, dessen Werk den Zeichner Achim Sakic in den vergangenen Jahren zu interessieren begann. Sakic verknüpft dessen Arbeit mit der Kunstgeschichte und schiebt die Gestelle mit den Bildern so zueinander, dass ihr verbindendes Moment sichtbar wird. So dass Bilder von Maier, die man als Kompositionen deuten will, nicht mehr wie Kompositionen erscheinen, sondern nun ihr viel wichtigeres Leben als Motivwanderungen ausstellen können. Text runs short: Das alles ist jetzt nicht mehr nur in Sakics schwarz-weißen Zeichnungen sondern in der Konstruktion einer ganzen Ausstellung zu sehen. Sakic hat Frank Maier eingeladen, seine Arbeiten dazu zu stellen. Denn die Gemälde und die Skulpturen, die Frank Maier macht, sind ebensolche, eben auch Gestelle.

(1) P. v. Huisstede, Der Mnemosyme-Atlas. Ein Laboratorium der Bildgeschichte, 1955, S. 147 ff. Zitiert in dieser Auswahl von Martin Warnke, „Der Liebe Gott steckt im Detail“ – Wenn der Zettelkasten antwortet, Vortrag an der Leuphana Universität Lüneburg, September 2008, siehe http://www.uni-lueneburg.de/hyperimage/hyperimage/publikationen_E.htm, S. 10.
(2) Martin Warnke, s. Anm. i, S.10.

2012

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Press
Kommunizieren wie die Oktopoden

Basler Zeitung

Umübersetzungen. Collagen aus Bestehendem und Konzipiertem, in Form und Raum, bilden die Grundlage der künstlerischen Arbeit von Katharina Kemmerling. Die 1986 in Rheinfelden (D) geborene Künstlerin hat in Zürich und Hamburg Game Design studiert. Seit 2015 ist sie an der Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGK) in Basel; derzeit im Masterstudium. Kemmerling beschreibt ihre Arbeit mit folgenden Worten: «Aus dem Zusammenspiel von Digital und Analog bilden Figuren und Installation verzerrte surreale Welten, die der Betrachter untersuchen, entdecken und erforschen soll. Das Vorgehen besteht aus verschiedenen Umübersetzungen von digitalen Formen zu Objekten und wieder zurück. Die Umformung führt zu einer gewollten Dissonanz, welche auf den Konflikt einer Gesellschaft zwischen gefühlter Realität und metrischer Wissenschaft verweist.»

Bei der Arbeit, die derzeit in der Galerie Krupp – neben Werken von Markus Gadient und Achim Sakic – zu sehen ist, handelt es sich um eine Mixed-Media-Installation bestehend aus Keramik und Video. «Ich versuche dadurch eine Annäherung an die Kommunikationsform von Oktopoden zu erschaffen, deren Haut gleichzeitig als Spiegelbild ihrer Umgebung sowie als Übertragungssender von Botschaften an dieselbe fungiert», sagt Katharina Kemmerling. «In meinem Werk verhandle ich letztlich Themen und Fragestellungen von Formen nichtmenschlicher Intelligenz und Perspektiven abseits unserer menschlichen Wahrnehmung.» mw

Markus Gadient, Katharina Kemmerling, Achim Sakic, Galerie Nicolas Krupp, Rosentalstrasse 28, Basel, bis 2. März.

15 February 2019

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